Von Rumänien in die Ukraine – 500km in 24 Stunden

15. November 2018, 6:56. Ich sitze im Bus von Cluj-Napoca im Rumänischen Transilwanien (Siebenbürgen) nach Sighetu Marmației an der Grenze zwischen Rumänien und der Ukraine. Der nach künstlichen Aromen schmeckende Kaffee vom Automaten, den ich wie eine Erscheinung, quasi ein Wunder in einem düsteren Eck der noch in schummriges Dämmerlicht getauchten Bushaltestelle erspäht habe schaukelt andächtig in der Plastikhalterung vor mir, während aus dem Radio monotoner Gesang auf Rumänisch tönt. Er hört sich fast wie ein Gebet an und ich ziehe einen Augenblick in Erwägung, ob die Bitten unserer Busfahrt gelten und uns vor auf einem (vielleicht gar nicht so unwahrscheinlichen?) Unglück bewahren sollen. Ich verwerfe den Gedanken. Ich bin sicher der Busfahrer ist gut erholt und kennt die Strecke wie seine Westentasche.

Laut Google Maps braucht man für die Strecke 3 Stunden und 24 Minuten, der Bus, den ich nehme fährt sie in 5 Stunden. Überhaupt ist Schnelligkeit nicht das Ziel meiner Reise, sonst würde ich jetzt bereits in einem Zug Richtung Ungarn sitzen, im Internet surfen und mit meinen Freunden chatten, die jetzt schon wieder ganz woanders sind..

Vor wenigen Tagen noch waren wir alle gemeinsam in einem kleinen Transilwanischen Dorf, dessen Bevölkerung fast ausschließlich aus Roma besteht und in dem das Gebell der Straßenhunde auch in der Nacht nie verklingt, um von einem Geigenmeister traditionelle Melodien zu lernen. Wir, das waren eine Gruppe von Geigern und Geigerinnen aus Slowenien, Deutschland, Frankreich und Österreich. Musik und Reisen – eine ideale Kombination für mich. Auch jetzt bin ich unterwegs um mich mit Freunden – Musikern – zu treffen.

Der Bus tuckert mitlerweile bedächtig durch die Landschaft, sanfte Hügel wechseln sich mit kleinen Dörfern ab und hin und wieder steigen ein paar Fahrgäste, hauptsächlich ältere Menschen ein oder aus. Bushaltestellen gibt es nirgends, aber der Fahrer scheint ohnehin genau zu wissen, wer wo wartet oder hin möchte. Aber nicht nur dadurch lässt sich die vergleichsweise lange Fahrzeit erklären, das ist einfach so eine Art Lebensgefühl, kommt mir vor… Als der Busfahrer in einem Dorf anhält um von einer älteren Frau mit Kopftuch Paradeiser und Paprika zu kaufen bereue ich schon nicht mehr die kurze Nacht und den halbstündigen Fußmarsch mit schwerem Gepäck zum Busbahnhof durch ein nebliges, kaltes und in den frühen Morgenstunden fast menschenleeres Cluj.

Gemüseverkäuferin auf der Fahrt

Ein Dorf – Eine Brücke – ein Fluss – eine Grenze

Empfehlung an zukünftige Busreisende in Rumänien: Flüssigkeitszufuhr auf das Minimum reduzieren. Nichts Salziges oder Süßes essen (führt zu mehr Durst) und möglichst nicht physisch anstrengen (unwahrscheinlich während einer Busfahrt, aber man weiß ja nie…). Im Notfall wird man wohl eine Lösung finden (ein Busch? eine Wiese? irgendein Privathaus?…), aber übermäßig erfreulich stelle ich mir Toilettensuche mit Kommunikation in Pseudogebärdensprache und Pseudorumänisch nicht vor.

Um kurz vor zwölf erreichen wir den Grenzort Sighetu Marmației. “Bitte alle aussteigen!” Oder so ähnlich.. Ich verstehe kaum Rumänisch. Optimistisch und neugierig steige ich aus dem Bus – nächste Aufgabe: Finde die Ukraine. Ein Blick nach links, einer nach rechts… der Bus hat in einer Wohnstraße gehalten. Damit habe ich nicht gerechnet. “Ukraina?….Scuzați!… Ah, this way? Ukraina, yes? Okay.. Yes, i walk, no problem! Really, it’s okay! Mulțumesc!”.

Im Vergleich: Ausstiegsstelle…
…später durch Zufall entdeckte tatsächliche Bushaltestelle

Ich stapfe also in der erstaunlich warmen Mittagssonne vertrauensselig in die empfohlene Richtung los und schaue dabei angestrengt auf den zu dunklen Handybildschirm. Noch bin ich in der EU und habe Internet, der schwierigere Teil kommt später. Der blaue Punkt bewegt sich…. bewegt er sich? Heureka, er bewegt sich! Und noch dazu in die richtige Richtung, die Grenze rückt näher. Vor meinem Aufbruch habe ich die Zugverbindung recherchiert, die mich vom Ukrainischen Solotwyno (Cyrillisch: Солотвино) nach Lviv (Cyrillisch: Львів, deutsch: Lemberg) bringen soll, aber ich habe auf früheren Reisen bereits ein gesundes Missvertrauen Onlinerecherchen gegenüber entwickelt und lege wenig Wert darauf, in dem kleinen Ort auf Herbergssuche zu gehen.

So finde ich den Weg in’s Nachbarland – von jetzt an ohne blauen Punkt. Zum Glück ist der Bahnhof eingezeichnet…

Wie viele Reisende wohl im Jahr diese Grenze passieren?

Musikalische Begrüßung in der Ukraine – mit Intro und Polka